Kirchensplitter: Windeln
von Pfarrer Dr. Hansueli Hauenstein
Gleich zweimal erzählt Lukas, der grosse Dichter, in seiner Weihnachtsgeschichte, dass das göttliche Kind, das in Bethlehem auf die Welt kommt, in Windeln gewickelt wird. Das erste Mal begegnen wir diesem ersten Kleid eines Menschen als Maria, die Mutter, gleich nach der Geburt für ihr Baby sorgt, indem sie es wickelt. Ein bisschen später in der Geschichte reden dann die Engel von den Windeln des Neugeborenen. Ausgerechnet die Engel! Die Windeln sollen für die Hirten ein Zeichen dafür sein, dass sie tatsächlich das richtige Kind gefunden haben.
Das ist seltsam, denn auch in biblischen Zeiten war es schon selbstverständlich, dass Neugeborene gewickelt werden. Auch arme Säuglinge kamen in diesen Genuss. Man riss dafür saubere Lumpen in Streifen und wickelte den kleinen Menschen darin ein – ziemlich fest übrigens und von Kopf bis Fuss: Bewegungsfreiheit für Neugeborene wurde erst viel später Mode.
Was für ein Zeichen sollen diese Windeln also sein? Technisch gesagt sind sie eine Art Interface zwischen Natur und Kultur. Sie bilden die Grenze zwischen den Körperfunktionen des Neugeborenen und der Erwachsenenwelt um ihn herum. Als einziges Säugetier wickelt der Mensch seine Jungen, und zwar deshalb, weil er Geschöpflichkeit immer mit Tätigkeiten verbindet, die er einem kulturellen Vorrat entnimmt. Neugeborene sind von Geburt an, und schon davor, nicht einfach nur Lebewesen, sondern Teil einer Kultur und einer Geschichte.
Das Kind, das hier auf die Welt kommt – Lukas spricht präziser von einem Säugling – ist also einerseits ganz und gar und bis auf die elementarsten Stoffwechselvorgänge ein Tier der Gattung Mensch. Es nimmt Nahrung auf und scheidet sie aus. Zugleich gehört es von Anfang an zu einer menschlichen Gesellschaft mit ihren Normen, Regeln und Bräuchen.
Hier zeigt sich dieses Eingebundensein in eine Menschenwelt noch von seiner fürsorglichen Seite. Später, wenn das Kind herangewachsen ist, wird sich dies ändern.
Ob auch Engel einmal Windeln getragen haben?