Kirchensplitter Mai
Affenschnitzel
Uns allen ist klar: Die Luzerner sind keine Walliser. Die sprechen nämlich komisch. Eine Fernsehserie entfaltet neuerdings mit einigem Recht ihr eigentümliches Wesen. Was für den Walliser gilt, kann man von anderen Menschen in anderen Gegenden genauso sagen. Mit leichten Abwandlungen: Die Aargauer können nicht Autofahren, die Welschen wählen links, die Genfer sind arrogant und bei den Zürchern… fehlen mir jetzt die Worte.
Meine Geduld mit anderen Menschen und Gewohnheiten wird erst recht auf die Probe gestellt, wenn ich meinen alten Vater im Norden des „grossen Kantons“ besuche. Will man dort nämlich mit dem Auto auf eine Strasse einbiegen, kann man lange warten. Alle bestehen da auf ihrem Vorfahrtsrecht.
Zorn steigt in mir auf. Wie kann man nur so sein! Schon kommt mir die Formulierung in den Sinn:“ Ein Glück, dass ich nicht so bin wie die anderen“ - da fällt mir auf, dass ich sie von Jesus habe. Er lässt zwei Beter im Tempel auftreten, der eine sagt: „Danke Gott, dass ich nicht so bin wie der andere.“ Und der Andere betet: „Vergib mir!“
Da hat mich Jesus mal wieder auf dem falschen Fuss erwischt. Er erkennt mit sicherem Blick ein Grundproblem der Menschheit, mit den Worten eines berühmten Philosophen: Wir halten gerne unsere gewohnte Umgebung für die beste aller Welten. In der Wahrnehmung unserer Mitmenschen, politischer Meinungen und anderer Lebensweisen schwingt oft mit: Ein Glück, bin ich nicht so wie die anderen …
Die biblische Erinnerung schaffte es übrigens für einen Moment, mich von meinem Zorn auf die egoistischen Verkehrsteilnehmer zu befreien. Klar, im Supermarkt in Norddeutschland sind trotzdem lauter komische Leute. Einem stehe ich im Weg, da spielt dieser Kinder-Eisenbahn und macht laut: „Tuuut, tuuut“. Neben einer älteren Dame studiere ich die Bananenauslage, als sie mich anspricht: „Na, auch Affenschnitzel kaufen?“ Immerhin musste ich da lachen!
Ich sehe mich schon in der Migros bei den Bananen stehen und darauf warten, bis jemand kommt … „na, auch Affenschnitzel kaufen?“ Oder rase mit „tuuut tuuut“ hinterm Einkaufswagen durch die Gänge. Oh nein! Rasch verwerfe ich den Gedanken. „Herr, vergib mir!“
Pfarrer Christoph Thiel